Der Iran ist gefährlich
- Markus
- Aug 27, 2018
- 9 min read
Updated: Oct 19, 2021

Vor diesem Land wurde ich am meisten gewarnt. Es sei gefährlich. Ich kann jetzt sagen, sie hatten Recht. Aber wohl in einer ganz anderen Weise wie sie eigentlich dachten. Von der Regierung bekomme ich nichts mit. Von den Mullah sehe ich nur die Fotos überall und höre die Beschwerden der Leute. Der Rechte auf dem Foto ist der verstorbene, der die islamische Revolution vor vielen Jahren angeführt hat, der Linke sein von ihm bestimmter Nachfolger. Es gibt wenig Fernsehen. So anders wie in der Türkei, wo aus jeder Röhre der Drohkulissen-schaffende Erdogan brüllt. Attentate gibt es nicht. Die Menschen sind wundervoll herzlich. Ich fühle mich wirklich sicher. Nein, was hier wirklich gefährlich ist, ist der Straßenverkehr. Der Liter Benzin kostet 26 Cent. Iran ist Auto. Vor jedem Ort reiht sich Autowerkstatt an Autowerkstatt. Die Straßen sind brechend voll. Es rußt. Der Großteil der Autos und LKWs stammt aus einer Zeit vor unserer Zeit.

Wenn ich mir überlege was man bei uns für ein Drama macht mit Abgaswerten, die kein Konzern ohne zu bescheißen wirtschaftlich erreichen kann, erscheint mir das alles wie ein Witz. Wenn man wirklich was reißen wollte, müsste man zusammen Lösungen finden. Aber dafür bleibt keine Zeit während man sich die Köpfe einschlägt weil man andere Vorstellungen vom Freund im Himmel oder von Ländern und Grenzen hat. Ich bin da ganz bei John Lennon "Imagine theres no Countries". Naja, die Straßen sind jedenfalls unglaublich voll. Verkehrsregeln sind grobe Anhaltspunkte und oft noch nicht mal das. Dass diese Sache mit dem Fahrrad keiner versteht ist mir ja in der Osttürkei schon langsam aufgefallen. Da werden 80 km mit 2 Stunden geschätzt und ich im Verkehr wie ein Auto behandelt. Samt Abdrängen, Ausbremsen, Anhupen und mit hoher Geschwindigkeit an mir vorbei fahren.
Ich möchte hier lebend wieder raus

Mir kommt ein LKW entgegen. Obwohl er mich kommen sieht schert er aus und überholt den LKW vor ihm. Mit ca 100 kmh kommt er mir direkt entgegen und fährt gefühlt 1m an mir vorbei. Mit aller Kraft stemme ich mich gegen den Sog und lande letztlich im Graben. Eine andere Situation. Ein LKW kommt mir mit hohem Tempo entgegen. Er kommt mit den Reifen auf das Bankett. Der Anhänger rutscht komplett von der Straße und räumt mehrere Bäume, Pfeiler und ein Motorrad ab. Dann pendelt er zurück und schwingt direkt auf mich zu. Ich springe vom Rad und mache mich bereit in den Graben zu springen. Im letzten Moment bekommt der Anhänger wieder Halt und reiht sich hinter die Zugmaschine. Ok, danke.
Die Kaspische See

Ich dachte aufgrund der Größe immer es wäre ein Meer. Nun, der größte See der Erde befindet sich 8m unterhalb des Meeresspiegels. Da er keinen Ablauf aber diverse Zuläufe hat kann das Wasser nur über Verdunstung fliehen. Der See wird dadurch langsam immer salziger. Interessanterweise befinden sich jedoch noch immer ausschließlich Süßwasserfische darin. Ob sie auf Dauer hier tatsächlich überleben können? Ich vermute aber, dass weniger das Salz als viel mehr der ganze menschengemachte Dreck und Müll das Überleben der Fische bedroht. Wenn ich sehe was die Flüsse alles hereintragen vergeht mir jeder bisherige Wunsch darin zu baden. Ich fahre die Küstenstraße auf dem „Standstreifen“ neben der Fahrbahn entlang. Nunja, dieser Streifen hat es in sich. Er ist gleichzeitig ein weiterer Fahrstreifen, Parkplatz, Haltestelle, Bazar, Schlafplatz, Werkstatt, ein weiterer Fahrstreifen in Gegenrichtung, usw. Ich nenne ihn Gazastreifen.

Das sonstige Bild ist geprägt durch verlassene Hotels, Plakate von Luxus Anlagen und den dazugehörigen verlassenen Baustellen, tausende Fahrzeuge, schlechte Luft, vermüllte Tümpel, verwilderte Hunde, Autowerkstätten und ein paar Shops die Badezeug und Eis verkaufen. In Ruhe Fahrrad fahren kann ich auch hier nicht. Ich werde ständig aufgehalten, verfolgt, ausgebremst, angehupt, angeschrien oder man fährt über mehrere Kilometer neben mir her um mich zu beobachten oder zu filmen. Nicht nur einmal werde ich und andere Verkehrsteilnehmer durch Gaffen und waghalsige Manöver in Gefahr gebracht. Eigentlich möchte ich nur weg hier. Die ständige Gier nach meiner Aufmerksamkeit zehrt heftig an meinen Kräften. Ich wollte auf dieser Reise auch Ruhe finden. Bis in die Mitte der Türkei hatte ich diese auch und es hat mich richtig erfüllt.

Mittlerweile habe ich überhaupt keine Ruhe mehr. Die einzig beruhigende Wirkung auf mich haben die imposanten Berge zu meiner Rechten. Sie sollen deshalb mein nächstes Ziel werden. Neuer Plan. Ich fahre bei der nächsten Möglichkeit weg von der Kaspischen See. Da diese nächste Möglichkeit sehr fern war, trieb dieser Wille mich zu unglaublichen Leistungen. 320 km in 2 Tagen. Von -8 auf 2500 Meter in 2 Tagen. Alles bei 40 °C. Irgendwie irre.
Ein ruhiger Iraner
Noch an der Kaspischen See habe ich Farahd kennengelernt. Er ist kurz neben mir her gefahren und hat ruhig gefragt ob er mir irgendwie helfen könnte. Ich dachte nur, attraktiver Kerl und was für Augen. Er ist 26. Seine ruhige Art hat mich dazu bewegt diesmal nicht einfach „no thank you“ zu sagen und weiter zu fahren. Ich erkläre ihm dass ich auf der Suche nach einem Hotel bin. Nach kurzem Zögern bietet er an, dass ich bei ihm übernachten könnte wenn ich mag. Warum eigentlich nicht, denke ich und sage ja. Wir fahren also zu ihm. Er wohnt bei seinen Eltern. Nach einer kurzen Erholung fragt er ob ich mit an die Kaspische See möchte. Vielleicht kennt er ja schönere Flecken denke ich und willige ein. Also ab ins Auto und los. Zuerst holen wir seine Freundin ab.

Wir kommen am Strand an. Hier bestätigt sich mein bisheriger Eindruck. Überall Müll, laute Musik, Sofas im Sand, diverse Shops die ungesundes Zeug verkaufen, viele Menschen und verwilderte Hunde. Die Menschen sitzen in Gruppen auf Tüchern und rauchen Shisha. Es wird am Strand gegrillt und ungefähr alles ist Mülleimer. Zwischen den Badegästen fahren mit unglaublichem Lärm haufenweise Quads. Auch wenn irgendwie nichts Schlimmeres zu passieren scheint frage ich mich schon. Will man so wirklich baden? Will man so wirklich leben?

Es scheint die Leute nicht zu stören. Vermutlich haben sie sich längst an das alles gewöhnt. Für mich ist es katastrophal. Aber ich wundere mich nicht. Wenn ich im Iran oder der Türkei bisher in ein Naturschutzgebiet gefahren bin konnte ich mir mit einem sicher sein. Es wird dort haufenweise Grillplätze, Shops, Müll, provisorische Hütten und parkende Autos geben, die Natur aber wird bestimmt nicht geschützt. Einen Sinn für bzw gegen Umweltverschmutzung suche ich vergebens. Wie oft werde ich ausgelacht weil ich keine Plastiktüte will. Ich frage mich immer öfter was und wo eigentlich die iranische Kultur ist? Das Meiste was ich sehe ist westlich, nur in kaputt. Oder habe ich durch meinen Gemütszustand einfach generell den Blick für Negatives gerade und bin blind für den Rest? Nach einem Spaziergang fahren wir wieder zurück. Zuhause angekommen gehen wir Farahds Opa in der Nebenwohnung besuchen. Als wir das Zimmer betreten, mustern mich 30 starrende Augen. Ich bin etwas erschlagen aber alle sind super nett und herzlich. Natürlich bin ich zum Abendessen eingeladen. Aber wie macht man ein Familienessen ohne Tisch und ohne Sitzmöglichkeit? Nunja, eine lange Folie am Boden wird der Tisch. Die ganze Familie sitzt am Boden und isst. Es gibt Fleischsuppe. Ich habe mich schon wieder etwas daran gewöhnt. Es ist nicht das erste mal auf dieser Reise, denn fleischlos kennen einfach nur wenige Kulturen. Am nächsten Tag fährt Farahd noch ein kurzes Stück mit. Beim Abschied schenkt er mir eine Holzkette auf die ein Berg geschnitzt ist. Total lieb. Ich denke er wollte mir etwas Bleibendes mitgeben. Das hat er geschafft. Einen ruhigen Iraner trifft man nicht alle Tage.
Der Zusammenbruch
Ich fahre jetzt also zu den Bergen, die mich weg von der Kaspischen See bringen sollen. Es fehlen noch 800 der 2500 Höhenmeter. Leider ist die Straße hier genauso ein Krieg wie unten. Trotz Nebenstraßen ist wahnsinnig viel los. Ich habe jetzt auch keinen Gazastreifen mehr. Mich überholen 3 LKWs, die so dicht aneinander fahren, man könnte meinen, der Hintere muss dem Vorderen die Ladeklappe zu halten (es würde mich nicht wundern). Sie fahren so eng an mir vorbei, dass mich der Mittlere fast streift. Er ist vielleicht noch 30cm von meinem Lenker entfernt und ich kann schon die einzelnen Risse des völlig abgefahrenen mannshohen Reifen erkennen. Als er plötzlich hupt erschrecke ich so sehr, dass ich vom Fahrrad falle. Zum Glück hatte ich mich schon aus Angst nach rechts gelehnt und bin jetzt nur von der Fahrbahn gefallen. Es gelingt mir nicht aufzustehen, da mein ganzer Körper zittert. So ziehe ich das Fahrrad liegend weg von den Autos. Niemand hält an, nicht mal der Verursacher. Mit allen Nerven am Ende sitze ich nun am Straßenrand und weiß nicht weiter. Ich fange an zu weinen. War es wirklich das was ich wollte? Ich denke mir „ihr könnt mich alle mal, ihr könnt euch umbringen wie ihr wollt, aber verschont mich einfach“. Ist das Ende meiner seelischen Belastbarkeit erreicht? Waren die letzten Tage/Wochen nicht schon genug?

Nach einiger Zeit kann ich wieder stehen und versuche mich zu sammeln. Es hilft ja nichts. Es wird niemand kommen. Du kannst nicht einfach einen Freund anrufen der dir hilft. Du musst hier alleine durch. Wenn du heute nicht hier zwischen Müll und wilden Hunden schlafen willst musst du irgendwie weiter machen. Der Gedanke wieder auf diese Straße zu fahren löst Gänsehaut aus, denn der Verkehr ist nicht besser geworden.

Aus einem alten Absperrband und einem Stock baue ich mir einen Abstandshalter. Er steht nun hinten am Gepäck etwas über einen halben Meter nach links weg und soll Überholer dazu zwingen einen Abstand von mindestens 1m zu mir einzuhalten. Die Technik „Zwinge den Fahrer“ habe ich mir von den Straßenbauern abgeschaut. Es werden keine Schilder aufgestellt, sondern Hindernisse erzeugt, die zum Langsam-Fahren zwingen. Es funktioniert. Ich werde jetzt zwar öfter aggressiv angehupt, weil ich nun nicht mehr knapp überholt werden kann (wenn es die Situation eigentlich gar nicht her gibt) aber dafür fühle ich mich etwas sicherer. Die Überholer bringen jetzt eher die Entgegenkommenden in Gefahr. Vorausschauend fahren, langsamer werden, sicher überholen. Das kennt hier niemand. Vollgas bis ganz vorne, dann plötzlich "ooh" und schwups kommt die Hupe und alle werden gefährdet. Haufenweise Kerzen und Bilder am Straßenrand zeigen doch was passiert. Mit 1,2 Millionen jährlichen Verkehrstoten weltweit liegt diese Todesursache noch weit vor allen Kriegen und Terrorismus zusammen.

Ich sehe einen sehr abgeschiedenen Feldweg und entscheide mich dort weiter zu fahren. Auf Maps sieht er aus wie eine Abkürzung und gute Alternative zu den vollen Straßen. Nach ein paar Kilometern geht der Weg irre steil bergab. Mein Vorderrad hat kaum noch Profil. Ich stürze und rutsche mehrmals. Eine Seitentasche geht kaputt, ich habe aufgeschürfte Beine. Yayyy. Als wäre mein heutiger Tag nicht schon schlimm genug fand ich einfach keinen Schlafplatz. Zum Zelten war es mir überall zu eklig und gefährlich und die bei Maps eingezeichneten Hotels und Apartments existierten nicht mehr. Einzig eine Art Grillplatz habe ich gefunden. Es waren provisorische Holzterrassen um einen sehr dreckigen See. Naja, dann halt das. Ich suche mir eine der freien Terrassen und setze mich dort hin. Mein Fahrrad lehnt an und ich packe langsam das Nötigste zum Abendessen und baldigen Schlafen aus. Ein junger Mann kommt zu mir. Sein komisch lässiger Gang macht ihn mir schon leicht unsympathisch. Sehr „cool“ fragt er mich die nervige Standardfrage. "Hello, hello, Country". "Alman" sage ich. Dann sagt er irgendwas auf Farsi. Ich sage, dass ich ihn nicht verstehe. Er lacht seltsam. Dann geht er zum Fahrrad. Oh man, er nimmt sich die Steinschleuder. Ich sage „please don‘t use it“. Eine wurde mir ja schon kaputt gemacht. Er hebt einen Stein auf. Ich sage noch einmal, diesmal recht laut, „No! Put it back!“. Daraufhin sagt er „Ok, now you pay if you want to stay! 300000 Rials!“ Danach wird er von einem Freund zum Tor beordert. Einige Minuten später kommt er mit einer Shisha wieder. Mittlerweile habe ich es mir „gemütlich“ gemacht und angefangen zu lesen. Als er merkt, dass ich ihn nicht beachte steigt er auf die Terrasse und fängt an zu tanzen und singen. Ich reagiere nicht. Er holt er seine kleine Tochter und zwingt sie zu mir zu gehen. Sie tut es nicht. Dann sieht er meine Packung getrockneter Feigen. Er zeigt darauf und dann auf sich. Ich erkläre ihm dass die Packung verschlossen ist und ich sie nicht öffnen möchte. Dann sieht er die Gitarre und verlangt von mir zu spielen. Ich sage, dass ich jetzt nicht spielen und bitte einfach in Ruhe lesen möchte. „Ok, you pay!“ Gut dann zahle ich die 3 Euro. Hätte ich nur diese Möglichkeit am Anfang schon gehabt, dann hätte es das Theater nicht gegeben. Endlich Ruhe. Naja nicht ganz. Ich habe in der Nacht kein Auge zu getan. Selbst mit Autan waren die hunderten Mücken unerträglich und 3x wurde ich von Leuten in der Nacht geweckt, die es spannend fanden dass da ein Westler liegt.
Endlich ein bisschen Ruhe

Ob ich den Iran als Reiseziel empfehlen kann? Ich würde spontan mit Nein antworten. Ja, es gibt tatsächlich ein paar wirklich schöne Orte. Die vielen verschiedenen bunten Berge sind einzigartig. Alles andere gibt es auch in weniger stressigen und saubereren Ländern. Wirklich gefährlich sind die Menschen hier nicht. Sie sind ausgesprochen hilfsbereit. Für meinen Geschmack aber einfach zu einnehmend. Das ständige Einfordern von Aufmerksamkeit zerreißt mich. Ich habe angefangen mich zu isolieren. Mein Gespür funktioniert hier nicht. So wurde ich bereits zwei mal wirklich seltsam intimer angefasst und war im Nachhinein sehr froh Einladungen abgewiesen zu haben.

In den Bergen habe ich endlich Ruhe gefunden. Die Wege zu den sehr abgeschiedenen Salz Quellen Badab Suurt sind verlassen. Dort angekommen folgt leider die nächste Ernüchterung. Ein Shop, fast in die Quellen gebaut. Touristen werden mit dem Traktor zu den Quellen gekarrt. Überall liegt Müll. Die Quellen werden als kleiner "Water Fun Park" genutzt. Ein Motorrad fährt direkt über die Salzterrassen… Wird in diesem Land wirklich alles kaputt gemacht? Auch wenn der Mensch zum Menschen hier sehr gut ist, zur Natur ist er einfach nur abartig.

Der Misanthrop in mir wächst. Ich weiß in einem politisch korrekten Hipster Blog muss man schreiben man reist wegen den Menschen, aber im Iran gefällt es mir fast nur dort wo keine Menschen sind. Als alle gegangen sind kann ich endlich die Ruhe dieser abgelegenen Gegend aufsaugen. An diesem Abend, der Nacht und dem Morgen habe ich mein Glück zurück. Die Fahrt durch die einsame und beeindruckende Gegend erfüllt mich komplett und all meine Einsamkeit ist wie weggeblasen. Mit Alleinsein die Einsamkeit besiegt…

...bis ich wieder auf die größere Straße abbiege und der Krieg von Neuem beginnt