Kapitel Nemo
- Markus
- Dec 9, 2022
- 6 min read
Updated: May 23, 2023
Wieso heißt das neue Kapitel in meinem Lebensbuch “Nemo”?
„Nemo Nobody“ ist der Name des Protagonisten im Film “Mr. Nobody”. Das erste Mal habe ich diesen Film zusammen mit meiner Herzensfreundin Nadine gesehen. Sie hatte den Film entdeckt und musste ihn mir unbedingt zeigen. Der Film hat mich so sehr berührt, dass er mir nie wieder aus dem Kopf ging. Noch in Porto habe ich den Film Cecilia gezeigt. Für uns war dies ein wunderschöner Moment. Ein gemeinsames Teilen einer Sicht auf die Welt. Seitdem nenne ich Cecilia immer wieder mal Anna.
Was macht diesen Film nun so besonders? (Achtung Spoiler)
Er handelt von Entscheidungen im Leben und von der Frage ob die Abzweigungen die wir wählen uns letztlich auf den besten aller Pfade leiten. Nemo berichtet im Film von seiner Vergangenheit. Er ist sehr alt und lebt in einer Welt, in der die Menschen das Sterben überwunden haben. Nemo ist der letzte Sterbliche. Schon von Anfang an sind die Geschichten die er erzählt aber irgendwie unstimmig. Immer wieder widersprechen sich seine Erzählungen. Sämtliche möglichen Erzählstränge und Lebenswege listet er auf, als hätte er jeden Einzelnen tatsächlich erlebt. Der Reporter, der ihm zuhört, ist am Ende immens verwirrt und fragt:
“Es ist ja schön, dass du all diese Geschichten parat hast, aber welche ist denn nun die wahre Geschichte? Welcher dieser Stränge beschreibt dein Leben?”
Nemo daraufhin:
“All diese Stränge erzählen die wahre Geschichte. Sie leben in der Vorstellung eines kleinen Kindes das eine Entscheidung treffen muss. Und in dem Moment, in dem es den Ausgang jedes einzelnen Pfads kennt, schafft es nicht mehr sich zu entscheiden.”
Was ich aus diesem Film gezogen habe: Jede Entscheidung, die wir in unserem Leben treffen ist die richtige Entscheidung. Jedes Leben das wir führen ist das richtige Leben. In Reue zurückzublicken mag heilsam wirken, aber letztlich haben wir nur diesen einen Pfad den wir gegangen sind. Wir können unser Leben nicht alternativ gestalten. Klar, wir können unserer Phantasie freien Lauf lassen… Aber ganz nach dem Butterfly-Effekt ahnen wir nicht im geringsten was für unerwartete Gegebenheiten und Wendungen in unser Leben kommen. Ich weiß diese zwei Dinge aus meiner Vergangenheit:
1. Mein Leben geht manchmal so verrückte Pfade, selbst ein Irrer hätte sich das nicht ausdenken können.
2. All die Situationen, die ich im erlebten Moment als “Das Schlimmste was mir passieren konnte” empfunden habe, haben sich immer als die größten Wendepunkte und die hellsten Lichter entpuppt.
Wieso versuche ich so gut es geht diese zu vermeiden, wenn sie doch solches Glück in sich bergen? An schweren Zeiten wachsen wir am meisten. Sie zeigen uns oft wie irrational unsere Ängste sind. Denn irgendwie schaffen wir es dann doch immer. Manchmal fühlt es sich so an als würden die Ängste mehr belasten, als die tatsächlichen Erlebnisse vor denen ich Angst habe. Ich werde mich ab sofort noch mehr meinen Ängsten stellen.
Alex Honnold ist 2017 den El Capitan 1000 Höhenmeter Free Solo geklettert. Im Film „Free Solo“ wird er gefragt wie er mit der Angst umgeht zu wissen, dass es nur zwei Optionen gibt. Perfektionismus oder der Tod. Seine Antwort:
„Die Leute sprechen immer davon die Angst zu unterdrücken. Ich habe darauf eine andere Sicht. Ich erweitere meine Komfortzone indem ich alle möglichen Bewegungen immer und immer wieder trainiere bis ich keine Angst mehr habe.“
So sehr wir uns manchmal aus unserem Leben heraus wünschen weil alles zu schwer wirkt... was uns bleibt ist unsere Situation hinzunehmen und anzunehmen. Aus den Erzählungen von dem Holocaust-Überlebenden Victor Frankl war für mich die größte Erkenntnis folgende:
Man kann dir alles im Leben nehmen, aber eines wird dir immer bleiben:
Die Macht darüber wie du dich zu dir und deinem Leben positionierst.
All das hat viel mit Werten und Glaubenssätzen zu tun. Ich habe in den letzten Monaten gelernt, dass Emotionen, Glaubenssätze und letztlich auch unser Leben keine unveränderbaren Dinge sind, die uns widerfahren. Wir allein sitzen am Steuerpult und damit in der Verantwortung unser Leben zu gestalten. Ich meine damit weniger den Rahmen in dem wir uns befinden, als umso mehr das emotionale Verhältnis zu uns selbst und der Welt.
Vor knapp einem Jahr wurden meine Gedanken Suizid zu begehen wieder groß. Ich hatte das Gefühl, dass die Welt mich eigentlich nicht haben möchte. Egal was ich auch tue. Ich fühle mich nur als Belastung, als dunklen Fleck, der seiner Umwelt viel Unglück bringt. Ich habe mich als den Fehler in einer Gleichung gesehen. Der einzige Weg diese Gleichung zu berichtigen ist es den Fehler zu entfernen. Ich habe dies für alternativlos empfunden.
Meine Hochsensibilität und meine negativen Überzeugungen waren für mich tief in meine Seele gebrannt. So tief, dass ich mir sicher war:
Ich kann all das nicht ändern. Ich bin ausgeliefert. Diese Dinge sind so stark mit meinem Charakter verwurzelt. All dies zu entflechten würde erstens gar nicht funktionieren und zweitens: Wer wäre denn “Ich” am Schluss wenn ich all das los würde? Was bleibt von mir?
Auch wenn ich sehr traurig darüber bin Patricia in meinem Leben verloren zu haben, so bin ich ihr unendlich dankbar. Dankbar, dass wir einen großen Teil unseres Lebens gemeinsam verbracht haben und eine wunderschöne Welt erfahren haben. Ich bin ihr auch dankbar, dass sie sich irgendwann vollständig sich selbst zugewandt hat. Vielleicht hat sie unbewusst schon früher wie ich wahrgenommen, dass wir uns nicht mehr gut tun. So leid es mir für uns als Paar auch tat und so schmerzhaft alles war… letztlich hat es mir das Licht geschenkt das ich brauchte um dort zu stehen wo ich heute bin.
Es hat dazu geführt, dass ich endlich aufstehe und den lange gelebten Glaubenssatz “Das Leben widerfährt mir” zu hinterfragen und aufzulösen. Kontrolle über das zu gewinnen was ich “Mein Leben” nenne war erst dann möglich, als ich heftigsten Kontrollverlust erfahren habe. Ich meine mit Kontrolle hier nicht zu kontrollieren was in mein Leben kommt, sondern für mich selbst und meine mentale Gesundheit einzustehen. Zu verstehen, dass “Selbstwert” auch nur ein Modell ist. Eine Vorstellung, die ich von mir selbst habe. Ein Gefühl. Ein Gefühl, dass mit den richtigen Werkzeugen zu dem werden kann was ich für mich wünsche.
Als ich das begriffen habe, hat sich fast alles verändert. Nachdem ich kognitiv verstanden habe wo meine Glaubenssätze her kommen, ich diese bearbeitet und die ersten Selbstwert-Flüge absolviert hatte, haben sich viele andere Themen in Luft aufgelöst oder sie haben mich zumindest nicht mehr so belastet.
Viele meiner negativen Glaubenssätze stehen auf sehr wackligem Fundament. Einzig meine ständigen inneren Wiederholungen - sich selbst fütternde Spiralen - haben mich glauben lassen sie wären wahr.
Ich habe realisiert, dass meine Emotionen nicht Teil eines unveränderbaren Markus-Pakets sind und gespürt, dass ich Selbstwert selbst kreieren kann.
Danach war Dankbarkeit für mich einer der größten Schlüssel im Weg aus meiner Misere. Der Gedanke: “Mensch Markus, warum bist du denn immer so negativ” ist destruktiv. Er führt zu Meta-Spiralen, in denen die Folgegedanken wieder negativ sind. Ich empfand eine Abneigung und Negativität gegenüber meiner Negativität. Ohne äußeren Impuls oder Disziplin treibt mich dieser Gedanke nach ganz ganz unten.
Erst als ich angefangen habe mich zu trainieren konnte ich aus dieser Spirale ausbrechen. Im Grunde war es so einfach als ich das richtige Werkzeug hatte. Es hat eine enorme Veränderung gebracht jeden Tag drei Dinge aufzuschreiben für die ich dankbar bin und mich den Dingen objektiv zuzuwenden die mich belasten. Meine Negativität hat sich aufgeweicht. Sie wird nie ganz verschwinden und das ist auch gut so. Ich brauche sie als Gegengewicht. Aber der Unterschied heute ist. Ich empfinde sie nicht mehr als Belastung, sondern als einen schönen Teil eines Gesamtpakets, das ich richtig gern habe. Mich.
Es klingt jetzt so, als wäre das alles bearbeitet und ich kann es ad acta legen. Markus der Phönix kann jetzt fliegen. Aber das ist mit Nichten so. Ich befinde mich einfach nur auf dem richtigen Pfad und bin selbst diesen noch nicht weit gegangen. Immer wieder habe ich „Rückfälle“ und finde mich in alten Mustern oder Emotionen wieder. Es ist wie mit Alkoholismus oder Depression. Ich muss mich jeden Tag aufs Neue dafür entscheiden diesen Weg weiter zu gehen.
Ich habe in den letzten Jahren öfter Entscheidungen getroffen, die von außen betrachtet absolut unverständlich sind. Auf Papier war mein Leben bereits perfekt, ganz im Gegensatz zu heute. Jedoch bin ich felsenfest davon überzeugt, dass diese Entscheidungen alle genau richtig waren. Ich bin dankbar dafür wo ich heute stehe. Ich bin dankbar dafür, dass die Gedanken an Suizid so fern sind wie noch nie in meinem Leben. Alles ist genau richtig verlaufen. Ich fühle mich mehr am Leben wie je zuvor. Heute stehe ich auf meinen zwei Beinen und spüre wie ich beginne Ruhe in mir selbst zu finden. Ich bin auf dem Weg nach Hause.
It is freedom when we stop chasing the life we planned and welcome the life that is waiting for us.
Ich bin sehr glücklich über den Ort an dem ich in diesem Moment verweile und bin freudig gespannt was für ein Leben auf mich wartet...