Teheran, Nazanin und die Zugfahrt zum Mond
- Markus
- Aug 31, 2018
- 7 min read
Updated: Oct 19, 2021
Eigentlich wollte ich nicht in die Hauptstadt. Bei knapp 9 Millionen Einwohnern habe ich damit gerechnet dass dieser Ort verkehrstechnisch für mich zum Spießrutenlauf wird. Irgendwie war ich dann doch zu neugierig, nehme aber den Zug in die Innenstadt um den großen Verkehr zu umgehen. Eine gute Idee wie ich heute finde.

Ein Hotel war recht schnell gefunden. Es kostet zwar das 4-fache von den Hotels auf dem Land aber dafür habe ich endlich mal Internet, das nicht erst 2 Minuten nach dem Klick reagiert. Ich kann ein bisschen Planung betreiben. Wie sieht der Plan jetzt aus? Naja, nach einiger Recherche denke ich, dass mein bisheriger Plan mir nicht das bringen wird, was ich mir von dieser Reise erhofft habe. Ich habe mir sehr viel mehr Ruhe und Natur gewünscht. Die Themen Visa, Zusatzgenehmigungen und Bestimmungen, etc haben mich so viele Nerven gekostet, dass ich Länder wie Myanmar oder Laos vermutlich nicht besuchen werde. Allein die Visumsverlängerung im Iran hat mich einen kompletten Hotelzimmer-recherche-Tag, zwei Tage bei der Polizei und unendlich viel Stress gekostet. Die zuständigen Ämter sind extrem unzuverlässig. An korrekte Informationen zu kommen ist verdammt schwierig. Ich wollte Natur und freies Fahren spüren. Nicht, wie schon in Deutschland, mich durch menschengemachte Richtlinien und Prozesse quälen. Dazu muss ich mich hier oft zuständigen Leuten anbiedern. Dieses Gefühl der Abhängigkeit gefällt mir überhaupt nicht. Der knappe Plan. Ich fahre einen Teil mit dem Zug. Planung abgeschlossen.

Nun kann ich mich Teheran widmen. Ich besuche diverse Paläste und Moscheen, schlendere mehrere Tage durch die Stadt und lasse sie auf mich wirken. Der Verkehr ist ein einziges Chaos. Fahrspuren existieren nicht. Motorräder fahren mit vollem Tempo auf den Fußwegen. Ich frage mich was man im Verkehr tun muss, dass die Polizei tatsächlich eingreift. Ich fahre Metro. 10 Cent pro Fahrt, egal wohin. Diese Einfachheit finde ich klasse. Da kann sich München mal ne Scheibe abschneiden. Im Wagen werde ich komisch beobachtet. Hm, bisher wurde ich in Teheran von Schaulust verschont. Mir fällt auf, dass ich nur von Frauen umgeben bin. Verdammt, ich bin im Frauen-Abteil. Verhaftet wird man dafür offensichtlich nicht. Es gibt viele die sich nicht an die Regeln halten. Die meisten Frauen tragen ein Alibi-Kopftuch halb über den Haaren. Als Schönheitschirurg muss man sich hier eine goldene Nase verdienen. Gefühlt ist jedes fünfte Gesicht operiert. Viele tragen einen Gips auf der Nase. Nahezu jeder hängt am Handy. Spielt oder sieht sich lustige Videos an. Selbst die Älteren. Ein ganz anderes Bild wie damals in Moskau, als die Mehrheit ein Buch vor sich hatte. Komme ich mit Menschen ins Gespräch, werde ich immer wieder auf Hitler angesprochen. Ich habe keine Ahnung was diese Leute von mir wollen. Was ich noch sehe.. Viel Kinderarbeit. Sie putzen Schuhe, verkaufen Ladegeräte oder spielen Flöte. Tausende Nachher-Vorher Bilder von Anti-Haarausfall-Produkten in Form von Werbung lassen vermuten, dass die Männer wohl ein Haar-Problem haben. Vorher-Nachher Bild? Ja, ich fand das auch erst seltsam, bis ich realisiert habe, dass das Schema "von rechts nach links" sich nicht nur auf die Schrift beschränkt. Verrückt wie konditioniert man doch ist.

Immer wieder fällt im Iran für mehrere Minuten und teilweise Stunden der Strom aus. Die Menschen haben sich daran gewöhnt. Die meisten Geschäfte haben Diesel-Aggregate vor der Türe stehen. Eis-Dielen müssen ihr Eis in stark herunter gekühlte Truhen umpacken zur Überbrückung. In der Seilbahn hoch zum Aussichtspunkt kann es schon mal sein, dass man eine Stunde in der Luft hängt.
Wie sich unsere Gesellschaft doch an die stetige Versorgung mit Wasser, Strom und schnellem Internet gewöhnt hat.
Nazanin

Nazanin ist der Name einer Frau, die mir in Teheran ans Herz gewachsen ist. Sie und ihr bester Freund Ali haben mich in einer Shisha-Bar zu ihrem Tisch eingeladen. Da bis auf ein paar Ausnahmen meine bisherigen Kontakte im Iran eher schwierig waren war ich zuerst vorsichtig. Schnell hat sich aber herausgestellt, dass diese Beiden anders sind. Sie sind sehr offen und endlich mal nicht einnehmend. Ich habe Platz und fühle mich direkt wohl. Als der sehr unterhaltsame Abend sich dem Ende neigt bieten sie mir an mich heim zu fahren. Warum nicht. In der Bar gehen wir ohne zu bezahlen. Ich bin verwirrt. Wir laufen zum Auto. Ähm ok, also dann wohl das M4 Cabrio auf dem Privatparkplatz. Da bin ich wohl bei den rich-kids gelandet. Mit offenem Verdeck und lauter Musik fahren wir durch Teherans Nacht. Plötzlich wird scharf gebremst. Musik leise. Nazanin zieht ihr Tuch über den Kopf. Sie dreht sich um und sagt „police“. Nach ein paar Sekunden ist der Spuk vorbei und es geht weiter wie vorher. Das ganze wiederholt sich dann so einige Male bei dieser Fahrt. Bei inkorrektem Verhalten ist wohl schnell mal das Auto für mehrere Monate weg. Die nächsten Abende verbringe ich mit den Beiden und auch einigen Freunden. Es ist eine schöne und ausgelassene Zeit. Ich merke wieviel Last des Allein-seins von mir fällt. Zum ersten Mal kann ich tiefere Gespräche führen. Dazu empfinde ich die vielen seelischen Belastungen aus den letzten Wochen als nicht mehr so drückend. Das Allein-sein hat wohl dazu geführt, dass ich fast gar nicht mehr belastbar war. Ein bisschen wie PMS. Es ist alles mega schlimm und du hast keine Ahnung warum. Jetzt fühle ich mich sehr viel besser.
Ein Zug durch die Wüste
Ich wollte unbedingt einmal eine Wüste sehen, und so ziehe ich aus Teheran weiter Richtung Süden. Es wird immer steppenähnlicher. Die Straßen sind Kerzengerade. Die Farben Ocker, Sand und Stein dominieren die Szenerie. Ich habe das Gefühl ich fahre auf der Stelle. Die Landschaft verändert sich einfach nicht. Es ist schon wieder glühend heiß. An sich habe ich mich an das Fahren bei knapp 40 °C gewöhnt, aber es kostet wirklich viel Energie. Nun biege ich ab von den Hauptstraßen. Dieser Feldweg wird mich direkt zur, und hoffentlich auch durch die Wüste bringen. Es wird sandiger.

In der Ferne kann ich eine Karawane wilder Kamele erahnen. Sie ist mit Sicherheit 2-3 km lang und überquert meinen Weg wie es scheint. Tatsächlich treffe ich sie ein paar Minuten später und fahre mit den Kamelen ein bisschen mit. Sie sind sehr neugierig, aber auch ängstlich. Eine witzige Situation. Nach einer Stunde komme ich an eine Schranke. Eine Schranke? Mitten in der Wüste? Es sehe kein Verbotsschild und so umfahre ich sie einfach, bis ich von einem Mann in Militäruniform zurück gepfiffen werde. Der nette junge Kerl erklärt mir, dass das alles militärisches Sperrgebiet ist und ich hier nicht durch fahren kann. Er bietet mir zu trinken an und zeigt mir auf der Karte wie groß das Gebiet ist und wo ich fahren darf. Na klasse, das Gebiet ist riesengroß und bedeutet für mich einen riesen Umweg. Aber es hilft ja nix. Ich drehe um und fahre wieder zurück. Einen kompletten Tag sinnlos in eine Sackgasse gefahren.

Ich tröste mich mit der tollen Erfahrung mit den Kamelen Fahrrad gefahren zu sein. Ich mein, wer kann das schon von sich behaupten? Als ich wieder die große Straße erreiche, die ich jetzt wohl leider benutzen muss, wird es dunkel. Ich stelle das Zelt auf und lege mich hin. Komische Fliegen sind im Zelt, die ich alle erst mal entferne. Es folgt eine schlimme Nacht. Der Boden heizt so sehr nach, dass ich mich in einer Sauna befinde. Irgendwie juckt es überall. Am Morgen aufgewacht ist mein Körper übersät mit roten Flecken. Sand-Mücken. Wie ich später erfahre können sie Leishmaniose auslösen. Eine unschöne Infektion ähnlich einer Borreliose. Ich sollte einfach aufhören Krankheiten zu googeln. Ich habe danach immer gleich das Schlimmste.

Nach diesen Erfahrungen und mit dem Wissen, dass bis an die Südküste keine vierte Farbe hinzukommen wird, entschließe ich jetzt aber auch wirklich den Zug zu nehmen. So habe ich die nächste Haltestelle im 250 km entfernten Kaschan angesteuert und sitze nun in einem Zug durch die Wüste. Im Fenster fliegen die drei Farben vorbei, begleitet von Bauten, die mich schwer an meine Sandkasten-Zeit erinnern.
Das sehr islamische Qom

Auf dem Weg zum Zug kam ich an Qom vorbei. Hier haben damals die islamischen Revolutionen begonnen. Hier werden fast alle Imams (oder heißt es Imame? Oder Imamse?) ausgebildet. Dementsprechend konservativ ist diese Stadt. Das war mal ne ganz andere Hausnummer. Alle Frauen tragen Hijab, Niqab oder Burka. Viele Männer mit Bisht und Turban. Ich glaube, dass sich viele Westler den ganzen Iran so vorstellen. Zugegeben, hier habe ich mich schon ein wenig komisch gefühlt. Die Stadt ist voller riesiger Moscheen und besitzt einen mächtigen Komplex im Zentrum. Zu meiner Überraschung durfte ich ihn betreten. Wahnsinn, diese Größe. Wie in jeder Moschee die mir gefällt habe ich mich für 1-2 Stunden und die Mitte gepflanzt und die Ruhe genossen. Irgendwie war ich doch ganz froh, diese Stadt noch gesehen zu haben. Es war etwas Besonderes, bevor ich den Iran Richtung Dubai verlassen werde.
Qeshm oder "Mars Island"

Wie ich ja schon öfter erfahren durfte ist das mit der Zuverlässigkeit und Organisation von diversen Dingen im Iran so ne Sache. Als ich zb mit dem Fahrrad am Zug stehe wird mir vom Bahnangstellten konstruktiv und höflich erklärt: "Bicylce NO" Und das obwohl auf der Website und am Schalter stets die Info "No Problem" kam. Es ist ein Chaos der Gefühle. Wie oft bricht mein Plan durch wenige Worte zusammen. Letztlich hat immer alles doch geklappt, aber halt jedes Mal mit großen Bedenken, ewigen hitzigen Diskussionen und richtigen Dramen. Naja, es geht ja allen so, nicht nur mir. Trotzdem unschön fürs Gemüt. Der Zug erreicht Bandar Abbas, meinen Zielort. Von hier aus soll es mit der Fähre nach Dubai gehen. Ich mache alles fahrbereit und steuere zur Fähre. "Ferry Canceled" sagt man mir. Oh no. Das heißt ich hab noch genau 1 Möglichkeit nach Dubai zu kommen bevor mein Flug Richtung Delhi geht. Ein Ticket für übermorgen ist schnell gekauft. Eine Versicherung, dass die Fähre auch wirklich fährt gibt es nicht. Gut. 2 Tage. In Bandar Abbas. Ein nicht wirklich schöner Ort. Grmpf (Ein Ausdruck aus dem Lustigen Taschenbuch, der ein verärgertes Ausschnaufen beschreiben soll).

Auf der Karte sehe ich, dass es eine nahe Insel mit Fährverbindungen gibt. Besser wie nix. Nach leidigen Diskussionen mit den Fährleuten darf das Fahrrad letztlich mit. Na hoffentlich darf ich auch wieder zurück. Qeshm ist die größte Insel des Iran und Urlaubsziel für viele Iraner. Es ist wirklich schön hier. Die Natur erinnert mich an den Mond oder Mars. Im Internet habe ich einen Insulaner gefunden, der Touren über die Insel anbietet.

Am nächsten Tag zeigt er mir die Insel. Kamele am Strand, eine gestrandeten Ölplattform aus Dubai (sie konnte sich bei einem heftigen Sturm nicht mehr halten) und dem Qeshm Death Valley. Die Insel ist toll. Kaum Autos. Mein Tourguide mag das Festland nicht sehr gern. Die Insel ist seine Heimat. Ich kann ihn verstehen, denn auf der Insel geht es ganz anders zu. Entspannter. Auch ich bin deutlich entspannter. Wenn da nicht die Sorgen wären wegen der bevorstehenden Schwierigkeiten mit den Booten und dem Flug...
